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Quadraturen

Peter Ablinger

Musik Biennale Berlin: Internationales Fest für zeitgenössische Musik, Sonnabend 20. März 1999, 19 Uhr, Kammermusiksaal der Philharmonie
Kangforum Wien, Sylvain Cambreling

Zu seinen Quadraturen schrieb der Komponist Peter Ablinger:
„Ich muß es leider eingestehen: Am Anfang war der Neid. Der Neid auf die Maler. Bestimmte Methoden der Malerei schienen mir für die musikalische Komposition grundsätzlich zu unzugänglich zu sein. Besondere Methoden der Wirklichkeitsaneignung und der Mimesis. Die unnehmbare Hürde ist und bleibt dabei die photographischen Vorlage mit den traditionellen Mitteln Pinsel, Farbe, Leinwand. Der Photographie entspricht im Bereich des Klanges zwar die Schallaufzeichnung, eine schallrealistische Wiedergabe mittels der traditionellen Orchesterinstrumente ist aufgrund der inneren Struktur der Instrumentalklänge jedoch unerreichbar. Die Instrumente können nur sich selbst wiedergeben.

Die andere Frage betrifft den Vergleich zwischen Photo und Schallaufzeichnung selbst. Im visuellen Bereich sind wir daran gewöhnt, auch die allergewöhnlichsten Dinge als ästhetisch wahrzunehmen. In jedem Wohn- oder Wartezimmer können Aufnahmen aus dem städtischen Alltag an der Wand hängen. Einen vergleichbaren Umgang mit akustischen Dingen gibt es nicht. Niemand legt sich zu Hause eine CD mit Autolärm auf. Ich denke, das liegt zumindest zum Teil daran, dass wir im Bereich des Klingenden noch immer an einem prinzipiellen und tief verwurzelten Unterschied von Musik und klingender Umwelt festhalten und letztere immer noch wie Tiere wahrnehmen: ausschließlich in Bezug auf ihre Funktion. Kein Wunder also, dass wir sie nicht „schön" finden. An diesem Punkt setzten die Quadraturen an:

Quadraturen nenne ich eine Methode, die die Darstellung jedweder Art von Tonaufnahmen betrifft und mit der Grobrasterung von Photographien verglichen werden kann. Frequenz f und Zeit t werden in einen Raster aus kleinen Rauschfeldern zerlegt, deren Format zum Beispiel 1 sec (Zeit) mal 1 Sekunde (Intervall) sein kann.
Die ersten Anregungen zur technischen Umsetzung stammen vom Ganztonfilter des Freiburger Experimentalstudios, dessen Freeze-Funktion als spektrale Rasterung interpretiert werden kann. Eine Einladung des IEM Graz bot unter den glücklichsten personellen Bedingungen (Robert Höldrich, Winfried Ritsch, Thomas Musil) die Möglichkeit, meine Ideen zu verwirklichen. Zuerst wurde ein Halbtonfilter mit der Option auf grundsätzliche Variabilität der Intervallbreite konstruiert. Daran knüpfte sich die Verwirklichung der zeitlichen Rasterung als einer mehr oder weniger raschen Folge von statischen Analysen über das gesamte Spektrum. Anfang 1997 waren die ersten zweidimensionalen Rasterungen in Echtzeit realisierbar. Aus derselben Zeit stammt der Name für das Projekt, das sich bis zum Ende desselben Jahres zu einem umfangreichen Entwurf ausgeweitet hatte.

Realisiert, geplant oder gerade in Arbeit sind:

Quadraturen I„Stadtportrait Graz" (2 Versionen=„Sprache ist", Vorstudien auf Tonträger)
Quadraturen II„Reden des 20. Jahrhunderts" (Installationsstück für 6 Lautsprecher auf hohen Sockeln, auf der Grundlage gerasteter Reden von Hitler, Lenin, Kennedy, Fidel Castro, Gandhi, Martin Luther King)
Quadraturen III„Wirklichkeit" (Studien für mechanisches Klavier)
Quadraturen IV„Selbstportrait mit Berlin" für Ensemble und Zuspiel-CD
Quadraturen V„Musik" für großes Orchester

Zu Quadraturen IV („Selbstportrait mit Berlin"):
Das Selbstportrait ist sozusagen byzantinisch, die Perspektive umgekehrt: Nicht das, wie man mich sieht, sondern das, was ich sehe (höre), ist Gegenstand des Stückes. D.h. portraitiert ist eher der Blickwinkel des Beobachters als der Beobachtende selbst. Ausgangspunkt sind sechs verschiedene Mikrofonaufnahmen mit Stadtlärm. Diese bilden sowohl das (unbearbeitete) Zuspielmaterial als auch das Basismaterial für die Instrumente, die, parallel zu den Aufnahmen, deren - zeitlich und spektral gerasterte - Analyse spielen. Man könnte auch von der maximalen Integration instrumentaler Klänge in Umweltaufnahmen sprechen.
Anders gesagt: Der Ensembleklang wird den Aufnahmen prinzipiell vergleichbar. Und noch anders: Die Musik beobachtet die Wirklichkeit. „Musik" definiert sich gegenüber „Wirklichkeit" als Raster (horizontal-rhythmisch und vertikal-tonhöhenmäßig). Als sehr grobes Raster sogar, das der Komplexität der Wirklichkeit weit hinterherhinkt. Aber dieses Hinken ist gleichzeitig die Wahrheit des Beobachtens, als auch selbst ästhetisch. Das Hinken IST das Faßbar! Es IST unsere Möglichkeit."

Peter Ablinger


Last modified 18.01.2007