Klavier-Seebeben vor Sumatra
Weimar. (tlz) "Kloing!" - die Uraufführung eines multimedialen Werks für Disklavier, Live-Pianist und Visual Jockey von Olga Neuwirth war zweifellos ein Höhepunkt des diesjährigen Kunstfests. Das eigentliche, ehrenwerte Duell Mensch gegen Mechanik fand aber bereits vor der Pause statt. In Helmut Lachenmanns "Serynade" müht sich der Pianist mit jedem erdenklichen Mittel, der "unveränderlichen Maschine Klavier" (Neuwirth) Unerhörtes zu entlocken: Klobige Unterarm-Cluster, rasende Handrücken-Glissandi, stumm gedrückte, obertönig mitschwingende Saiten. Über dem Getöse schweben an Ringmodulation erinnernde, fremdartige Klänge, generiert durch raffinierte Pedalisierung. Passion pur zeigt der Pianist Marino Formenti bei dieser Lachenmann-Performance im e-werk. Schnaufend, sich windend, den Blick zur Spot-Phalanx empor werfend, ringt er mit dem Bösendorfer-Flügel.
Ein gänzlich anderes Bild entsteht nach der Pause: Mit hängenden Schultern hockt Formenti vor dem Nachbarflügel, einem selbstspielenden, so genannten Disklavier, um die Komposition "Kloing!" der Österreicherin Neuwirth uraufzuführen. Von Beginn an zeigt sich seine Ohnmacht: Als ungleicher Kampf entfaltet sich ein mehrdimensionales Spektakel, das den Musiker zum Mitspieler - oder Spielball - degradiert. So sehr auch der Mensch sich gegen die Macht der Technik stemmt - am Ende, so orakelt Neuwirth, gibt es keinen Sieger.
Mit Chopins "Revolutionsetüde" und anderen Reißern zettelt Formenti eine pianistische Revolte gegen das "Player Piano" an, das völlig unbeeindruckt die in irrwitzige Klangkaskaden verwandelten Ausschläge eines Seismographen wiedergibt: auf derselben Tastatur wohlgemerkt. Mittels eines "Mapping"-Verfahrens hat Neuwirth den Verlauf eines Seebebens vor der Küste Sumatras hörbar gemacht. Erschwerend für den Pianisten kommt hinzu, dass der Flügel in der Mittellage massiv verstimmt wurde, um das "starre, binäre, schwarz-weiße System Klavier" (Neuwirth) aufzubrechen.
Überdies muss Formenti gegen Leinwand-Projektionen des VJ Lillevan Pobjoy anspielen, die über seinem Kopf toben. Dort sieht und hört man, als eine von vielen sich überlagernden Ebenen, die knarzenden Walzen eines Welte-Mignon-Klaviers, auf die Busonis Interpretation einer Liszt-Etüde und Nikischs Deutung eines Delibes-Walzers gestanzt sind. So furios Formenti auch spielt - Neuwirth meinte schon vorab lakonisch: "Das Scheitern gehört zum Künstler dazu." Stimmt. Doch wer vermag es so bravourös wie Formenti?
Darüber verblasste die zarte Akkord-Aleatorik von John Milton Cage Jr., die zu Beginn des Konzertabends erklang. Einen gewichtigen Anteil zu dessen Gelingen trug ein dritter Künstler im verborgenen bei: Klangregisseur Peter Plessas aus Graz als Kompetenz am Mischpult.
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