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Fremdes Hören

Vortrag, Sandeep Bhagwati
Musik in einer globalen Kultur
IEM-Cube: Montag, 22. Oktober 2001 um 12 Uhr

Das Eigene, Wohlvertraute für etwas Universelles zu halten - diesem kuscheligen Trugschluss erliegen nicht nur Musiker. Doch irgendwann wird man aus dem Nest geworfen und erkennt, dass es viele verschiedene Musikkulturen gibt - jede mit anderen ästhetischen Konzepten, anderen Vorstellungen davon, was Musik sei, dürfe, wolle. Universell ist da scheinbar nichts. Man bekommt Angst vor der eigenen Relativität, die man für sich "Beliebigkeit" nennt. Was ist dann mit den eigenen Ideen, den eigenen Vorlieben ? Sind sie plötzlich wertlos, weil sie nicht allgemeingültig sind?

An dieser Stelle tappt man dann gerne in den zweiten Trugschluss: den der sogenannten kulturellen Identität. Dieser Begriff sagt: Jeder ist Angehöriger einer bestimmten Kultur - deren Wertsystem muss man treu sein. Inder machen indische Musik, Österreicher österreichische, Nigerianer nigerianische, Serben serbische. Das können sie besser als niemand sonst. Musik hat man halt im Blut. Diese Identität muss man wahren (d.h. alle anderen aus ihr fernhalten).

Doch wir sind alle Mischlinge, auch musikalisch: das griechische Tonsystem kommt wahrscheinlich aus Indien, die Geige ist ein spätarabisches Instrument, die afrikanische Chormusik ist von europäischen Missionaren entscheidend geprägt worden, einige der besten indischen und arabischen Musiker unserer Zeit sind Franzosen, Kanadier, Italiener und zu den besten Gamelans der Welt zählen die von San Diego und Paris.

Erst langsam beginnen wir zu begreifen, dass "wir mehr und mehr inmitten einer enormen Collage leben", wie der Anthropologe Clifford Geertz 1986 feststellte. Das sei nur zum Teil an kulturellen Dingen festzumachen: "Vor allem aber rührt das daher, dass die Person, der wir im Lebensmittelladen, auf der Post oder in der Bank begegnen, beinahe genauso gut aus Korea wie aus Iowa, aus Algerien wie aus der Auvergne, aus Bombay wie aus Liverpool stammen kann."

Was heißt das für die Musik ? Vor allem für jene Strömung, die sich einst als NEUE MUSIK an der vordersten Front eines Fortschritts ins Universelle glaubte...und die sich jetzt plötzlich als nur eine Perspektive unter vielen behaupten muss - als sozusagen die Hofmusik des nordwestasiatischen Subkontinents, die an Hochschulen und auf den immer zahlreicheren Festivals einer Gesellschaft des Spektakels als esoterische Grundlagenforschung oft geduldet, manchmal geschätzt, aber nur selten geliebt wird?

BHAGWATI erzählt von den märchenhaften Versuchen einzelner abendländischer Komponisten und Musiker, mit der Öffnung für nicht-europäische Musikkonzepte das eigene Ohr zu retten. Er bringt ein rares Tondokument mit: Die "Einführung in die außerindische Musik 1: Die Musik Zentraleuropas", eine Sendung des All India Radio aus dem Jahre 1976 (mit voice-over Übersetzung von Klarenz Barlow und Peter Pannke). Und er zeigt anhand eigener Arbeiten vor, wie er selbst mit seiner nomadischen und globalen Lebensweise und ohne kulturelle Identität komponiert.

Curriculum und Werkliste:

bhagwati.htm

© 2000, zuletzt geändert am 24. Oktober 2001.


Last modified 20.03.2003