Autorschaft – Genie – Geschlecht
Wohl kaum ein ästhetisches Konzept ist seit mittlerweile vielen Jahrzehnten von solchen Widersprüchen geprägt wie die Auffassung des musikalischen Schaffensprozesses und der künstlerischer Kreation. Der zunehmenden Mythisierung schöpferischer Akte und der Heroisierung der Komponistenfigur im 19. Jahrhundert folgten im 20. Jahrhundert Paradigmen vom „Tod des Autors“, der Dekonstruktion des Genies und der Entlarvung diverser Selbst- und Fremdstilisierungen von Komponisten in der Musikhistoriographie.
Die Genderforschung nimmt innerhalb dieser Entwicklungen eine ambivalente Position ein. Zum einen hat sie die Konstruktionsmechanismen männlicher Genialität analysiert und historisiert, zum anderen hat sie nach Alternativen gesucht, um weibliche künstlerische Produktionen, die innerhalb der Konzepte männlicher Autorschaft keinen Platz hatten, zu verorten. Die Kreierung einer spezifisch weiblichen Ästhetik, die Rehabilitierung von Komponistinnen als Schöpferinnen musikalischer Werke und die Etablierung weiblicher Genialität erzeugen Reibungsflächen zur Dekonstruktion von Autorschaft und jenen Paradigmen gegenwärtiger Musikproduktion, in der Kunstwerke sich unter Zuhilfenahme diverser neuer Technologien und anonymisierter wie partizipativer Verfahren quasi von selbst schaffen.
Die Konferenz möchte sich diesen Spannungsverhältnissen in historisch-kritischer Weise nähern sowie Positionen des aktuellen Musikbetriebs ins Auge fassen. In einem ersten Teil sollen historische Perspektiven aufgearbeitet werden, die sich mit der Etablierung, Kreierung und Rezeption zentraler Denkkonzepte musikalischer Produktion (von der Etablierung der Idee von Autorschaft in der frühen Neuzeit über die Heroisierung aber auch Effeminisierung der Komponistenfigur bis hin zur Pathologisierung weiblicher Kreativität) auseinandersetzen sowie Identitätsentwürfe von Komponistinnen und Komponisten verorten und diskutieren. Der zweite Teil ist der aktuellen Musikproduktion gewidmet. Selbstkonzeptionen aktiver Komponistinnen und Komponisten sollen auf das Fortleben genderspezifischer Stereotype geprüft werden, mediale Inszenierungen analysiert und Ansätze weiblicher oder männlicher Ästhetik in verschiedenen Werken in den Blick gerückt werden.
Programm
Freitag, 8. April 2011 (Karl-Franzens-Universität Graz, Resowi, SZ 15.21, 2. Stock)
09:30-10:00 Eröffnung und Grußworte
10:00-10:30 Susanne Kogler (Graz) Einführung in das Thema des Symposions
10:30-11:15 Melanie Unseld (Oldenburg) Genie und Geschlecht. Strategien der Selbstinszenierung und der Musikgeschichtsschreibung
11:15-11:45 Kaffeepause
11:45-12:30 Kordula Knaus (Graz) Italian Courts and their Musicians in the Early Modern Period: Authorship and Authority
12:30-13:15 Katharina Hottmann (Hamburg) „Ein solcher Ehrgeiz hat mein Gemüt nicht bezaubert“. Inszenierungen von männlicher und weiblicher Autorschaft in Lieddrucken des 18. Jh.
13:15-14:45 Mittagspause
14:45-15:30 Rebecca Grotjahn (Detmold/Paderborn) „Mein bess’res Ich“ – Robert Schumanns Selbstbild(nis) als Künstler
15:30-16:15 Michele Calella (Wien) Die verschleierte Muse: weibliche Interpretation und männliche Kreativität in der Musikauffassung des 19. Jh.
16:15-16:45 Kaffeepause
16:45-17:30 Mary Ann Smart (Berkeley) Between Event and Text: Published Compositions by Female Singers in the Early Nineteenth Century
17:30-18:15 Laura Tunbridge (Manchester) Singing „I“ across genders: Lieder performance strategies
Samstag, 9. April 2011 (Kunstuniversität Graz, MUMUTH Proberaum)
09:30-10:15 Sally MacArthur (Sydney) Women’s New Music as Difference, Becoming and Event
10:15-11:00 Christa Brüstle (Berlin) Frauen in der experimentellen Musik: Kreativität in Nischen?
11:00-11:30 Kaffeepause
11:30-12:15 Ruth Neubauer Petzold (Regensburg) Traumwesen oder „durchgeknallt“. Die Selbstinszenierung der isländischen Künstlerin Björk
12:15-14:15 Mittagspause
14:15-15:00 Sigrid Nieberle (Nürnberg-Erlangen) Wen küsst die Muse? und wie? Literarische Konvention und transitorische Autorschaft
15:00- 15:45 Michael Walter (Graz) „Norma di Pasta“
15:45-16:30 Kaffeepause
16:30-18:00 PODIUMSDISKUSSION mit Joanna Wozny (Graz), Gösta Neuwirth (Freiburg), Christa Brüstle (Berlin), Annette Giesriegl (Graz) und Gerhard Nierhaus (Graz) Moderation: Irene Suchy (Wien)
18:30 GESPRÄCHSKONZERT Uraufführungen von Elisabeth Harnik, Daniel Mayer und Studierenden von Gerhard Nierhaus (Gerriet Sharma: Projekt Computermusik; Co-Kreation von Andrés Gutiérrez Martinez, Clara Maria Hollomey, Soo-Youn Lee, Rudolf Liepins, Hristina Takovska: Musikinformatik 2) Ausführende: Stimme: Claudia Cervenca; Klavier: Eva Bajic, Elisabeth Harnik; Elektronik: Daniel Mayer, Studierende von Gerhard Nierhaus
20:00 Empfang des Bürgermeisters der Stadt Graz Siegfried Nagl
Sonntag, 10. April 2011 (Kunstuniversität Graz, MUMUTH Proberaum)
09:30-10:15 Benjamin Renaud (Paris) „Der hypersexuelle / geschlechtslose Jazz“, or how improvisation does (not) go along with authorship
10:15-11:00 Albrecht Riethmüller (Berlin) Musikalische Kreativität der Frauen im NS
11:00-11:30 Kaffeepause
11:30-12:15 Renate Bozic (Graz) Klang – Raum – Zeit: Die musiktheatralische Welt Adriana Hölszkys
12:15-13:00 Leon Stefanija (Ljubljana) Authorship in the Era without Geniuses
13:00 Abschluss des Symposions
Änderungen vorbehalten!