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Im Auge des Taifun II

Werkbeschreibung von Robert R. Höldrich und Winfried Ritsch

Wer ein Museum oder eine Kunstgalerie besucht, findet dort Exponate vor, die sich in wenigen wesentlichen Punkten gleichen. Sie sind materiell, können - auch wenn dies meist nicht erlaubt ist - berührt werden, anders gesagt: Sie nehmen Raum im geometrischen Sinn ein. Als Beispiel: Wo eine Skulptur von Rodin steht, kann sich nicht gleichzeitig etwas anderes befinden. Die Grenze zwischen dem Raum, den die Skulptur einnimmt, und dem umgebenden Raum ist die Oberfläche der Skulptur, gleich der Haut des Körpers, die diesen vom Rest der physikalischen Welt trennt. Diese Oberfläche ist es, die sich einem Betrachter zeigt. Sie repräsentiert den von ihr umschlossenen geometrischen Raum, sie ist gleichsam die Skulptur.

Am direktesten kann diese raumbegrenzende Eigenschaft einer Oberfläche durch den Tastsinn erfahren werden. Man bewegt seine Hand durch die Luft, bis man an einen Punkt gelangt, an dem eine Kraft die weitere Bewegung verhindert. Dieser Punkt ist Teil der Oberfläche. Die Hand wandert von diesem Punkt zu einem benachbarten, an dem ebenfalls diese bewegungshemmende Kraft wirkt. Punkt um Punkt, Zentimeter um Zentimeter erschließt sich so dem Betrachter die gesamte Oberfläche und damit die Skulptur, die den Raum hinter der Oberfläche einnimmt.

Eine andere Möglichkeit der Wahrnehmung eines Körpers entsteht durch die Wirkung der Oberfläche auf Lichtwellen. Diese werden von einer Quelle, zB einer Glühbirne, abgestrahlt, durchwandern den Raum, bis sie an der Oberfläche der Skulptur auftreffen und durch diese am weiteren ungestörten Fortschreiten gehindert werden. Ein Teil des Lichts wird von der Oberfläche absorbiert, ein Teil reflektiert. Die Lichtwellen ändern durch die Reflexion ihre Richtung und fallen, nach dem sie den Abstand zwischen der Oberfläche der Skulptur und dem in einiger Entfernung stehenden Betrachter durchwandert haben, in dessen Auge. Man sieht die Skulptur. Die Erfassung von Objekten durch die Reflexionseigenschaften ihrer Oberfläche funkioniert theoretisch nicht nur mit Licht- sondern auch mit Schallwellen. Fledermäuse und Sonare arbeiten nach diesem Prinzip. Bei menschlichen Gehörssinn ist diese Wahrnehmungsmöglichkeit jedoch kaum ausgebildet.

Im Unterschied zur Berührung benötigt die Wahrnehmung durch das Auge (Ohr) das Licht (den Schall) als informationsvermittelnden Träger. Dennoch ist es wiederum eine Eigenschaft der raumbegrenzenden Oberfläche, nämlich deren Reflexionsverhalten, durch die das dahinter liegende Objekt erfahrbar wird.

Wodurch unterscheiden sich nun Wellen - in der Folge soll nur von Schallwellen die Rede sein - von materiellen Objekten ?

Schall ist ein Zustand des Raumes, genauer gesagt eine zeitliche Druckschwankung oder Auslenkung von einer Ruheposition, die sich in der den Raum ausfüllenden Materie, dem Medium, ausbreitet. Schall ist nicht ortsfest wie die oben beschriebene Skulptur. Er okupiert den geometrischen Raum nicht wie materielle Dinge. Er besitzt keine Oberfläche, die ihn vom umgebenden Raum trennt. Schall breitet sich, von einer Quelle kommend, im Raum aus. Seine Intensität nimmt dabei mit wachsender Entfernung von der Quelle ab. Wenn Schall auf eine Mediengrenze - zB die Oberfläche eines Objekts oder die Wände eines Zimmers - trifft, tritt ein Teil in das neue Medium ein (Absorbtion), ein anderer Teil ändert seine Richtung und breitet sich wiederum im alten Medium aus (Reflexion), bis er erneut auf eine Mediengrenze stößt. Wenn wir in unserem Wohnzimmer sitzen und die Lautsprechermembranen unserer Stereoanlage im Rhythmus der Luftdruckschwankungen von Beethoven´s Neunter vibrieren, so ist der Schall, der an unser Ohr trifft, die Addition aus der Direktabstahrlung des Lautsprechers und allen Reflexionen an Objekten und Wänden im Zimmer. Jede Veränderung eines Objektes, zB das Öffnen oder Schließen eines Fensters, ändert das Reflexionsverhalten (die Akustik) des Zimmers und damit, wenn auch manchmal fast unmerkbar die Klangfarbe und Lautstärke der Musik. Der Schall an einer bestimmten Stelle im Raum hängt also nicht nur von Schallquelle und deren Entfernung zum Hörer ab, sondern auch von allen reflektierenden Objekten in der Umgebung.

Was ergibt sich nun, wenn man in Gedanken die Eigenschaften der Wellen mit den Eigenschaften von materiellen Objekten verbindet ?

Das bedeutet, einen beschränkten Bereich im geometrischen Raum mit einer speziellen Schallkonstellation zu füllen, die im umgebenden Raum, also außerhalb der Objektoberfläche, nicht vorherrscht. Die Rede ist hier nicht von einem materiellen Objekt, zB einer Spieluhr, die an einem bestimmten Punkt im Raum befestigt ist und von dort ihren Klang in die umgebende Luft abstrahlt, sondern von ortsfestem Schall, von einem virtuellen Objekt, das sich klanglich, aber nicht materiell von seiner Umgebung unterscheidet.

Analog zur oben beschriebenen Skulptur könnte der Betrachter dieses Objekt mit seinen Ohren anstatt mit dem Tastsinn erfahren. Solange er sich dem Objekt nur nähert, wird er es nicht spüren, hier nicht hören. Sobald er auf die Grenze zwischen Objekt und umgebenden Raum trifft, ändert sich das Gefühl an den Fingerspitzen, hier der Klangeindruck. Im Gegensatz zur körperbehafteten Skulptur, die sich von der Hand höchstens verdrängen, nicht aber durchdringen läßt, kann der Betrachter des Klangobjekts sehr wohl das Objekt durchwandern, da dieses ja nicht an eine spezielle, körperhafte Ausformung gebunden ist, sondern nur einen Zustand eines materiegefüllten Raumbereichs darstellt.

"Im Auge des Taifuns II" stellt den Versuch dar eine solche ortsfeste Schallkonstellation zu erzeugen. So wie im Zentrum eines Wirbelsturms, um das sich mit großem Getöse die Zerstörung ausbreitet, Stille herrscht, so erzeugt die computergesteuerte Klanginstallation im gesamten Ausstellungsraum einen gleichförmigen Klang. Im Mittelpunkt zwischen den vier Lautsprecherboxen hingegen entsteht gleichsam als Anti-Klangobjekt eine Zone der Ruhe. Dieses Objekt ist vergleichbar mit einem tiefschwarzen Bild, das alles Licht absorbiert.

Im Folgenden werden die akustischen Prinzipien und die technische Umsetzung kurz beschrieben. Um ortsfeste Schallkonstellationen zu erzeugen, bedient man sich der Phänomene, die für Wellenvorgänge typisch sind und sich wie an anderen, so auch an Schallwellen beobachten lassen. Sie werden zusammenfassend als Interferenzerscheinungen bezeichnet. Ihre Eigenart wird deutlich, wenn man vergleicht, welche Auswirkungen das Zusammentreffen von zwei Strahlenbündeln aus verschiedenen Quellen hat, und zwar zum einen bei materiellen Strahlen, wie zum Beispiel Wasserstrahlen oder dem Zusammenlaufen zweier Flüsse, zum anderen bei Wellen wie Wasserwellen, elektromagnetischen Wellen oder Schall. Wenn zwei Wasserstrahlen zusammenwirken, so verdoppelt sich offensichtlich einfach die "Intensität", also die Wassermenge pro Sekunde. Ganz anders bei Wellen. Ihre Wirkungen werden ebenfalls zu jedem Zeitpunkt addiert. Da aber beispielsweise bei Schallwellen Auslenkungen der Luftmoleküle aus der Ruhelage abwechselnd in gegensätzlicher Richtung auftreten, ist das Ergebnis nicht von vornherein klar. Es kann durchaus sein, daß sich nach der Summation eine geringere Intensität ergibt, als jede einzelne Welle für sich genommen gehabt hätte. Interferieren zwei gleiche Wellen, die also neben gleicher Frequenz und Wellenlänge auch gleiche Stärke (Amplitude) haben, so sind je nach der zeitlichen Verzögerung ihres Eintreffens am einem Beobachtungsort (der "Phasendifferenz") zwei Extremfälle möglich. Treffen beide im Gleichtakt ein, ist also keine relativ zur anderen verschoben, so verstärken sich ihre Wirkungen maximal. Die Gesamtintensität ist dann nicht etwa das Doppelte, sondern sogar das Vierfache jeder Einzelintensität, weil nämlich die Intensität proportional zum Quadrat der Auslenkung ist. Dagegen löschen sich die beiden Wellen beim Eintreffen im Gegentakt aus, und die resultierende Auslenkung, beim Schall ein Maß für die Lautstärke, bleibt Null. Ob nun an einer Stelle Interferenzverstärkung oder -auslöschung eintritt, hängt im einzelnen von den Entfernungen zwischen den Ausgangspunkten der beteiligten Wellen und dem Beobachtungsort ab. Zwei oder mehrere Wellenzüge, die sich im Raum überlagern, ergeben oft komplizierte Interferenzmuster von Zonen der Verstärkung und Zonen der Abschwächung.

Interferenz ist uneingeschränkt nur dann möglich, wenn die beteiligten Wellen einen sinusförmigen zeitlichen Verlauf haben. Der Schall von natürlichen Quellen wie Musikinstrumenten, Autos oder der menschlichen Stimme sind aber ein Gemisch sehr vieler Wellenlängen (Frequenzen oder Tonhöhen) und insgesamt nicht sinusförmig. Die Abstrahlung zweier derartiger Quellen würde sich ohne Interferenz wie Wasserstrahlen überlagern. Deshalb treten Schallinterferenzen im strengen Sinn nur dann auf, wenn Schall aus ein und derselben Quelle beteiligt ist wie bei der Überlagerung von Wandreflexionen in einem geschlossenen Raum oder im Fall eines Mono-Radiosendung, die über zwei Lautsprecher wiedergegeben wird.

Bei "Im Auge des Taifuns II" erzeugt ein einzelner Lautsprecher für eine bestimmte Frequenz ein Interferenzmuster, das sich aus der Überlagerung von Direktschall und den verschieden starken Reflexionen an Wänden und im Raum befindlichen Objekten ergibt. Ob dabei an der Stelle der gewünschten Ruhezone die angestrebte totale Auslöschung, nur eine Abschwächung oder gar wie meistens eine Verstärkung entsteht, hängt von der speziellen Frequenz und der Geometrie des Raumes mit seinen Objekten ab. Um nun für beliebige Frequenzen am Ruhepunkt auch wirklich Auslöschung zu erreichen, muß ein zweiter Laustsprecher verwendet werden, der mit all seinen eigenen Raumreflexionen im Mittelpunkt der Installation ein Schallfeld erzeugt, das mit dem Schallfeld des ersten Lautsprechers destruktiv interferiert. Das heißt, die Amplitude und die Phasendifferenz des zweiten Lautsprechers muß so eingestellt sein, daß die beiden Schallfelder sich gegenseitig auslöschen.

Bei der Klanginstallation sind immer Paare von benachbarten Lautsprechern für eine bestimmte Frequenz gekoppelt. Dabei wird ein Mikrophon an den Ruhepunkt gehängt, das das resultierende Schallfeld aufnimmt und an den Steuercomputer liefert. Dieser regelt in einem selbständigen Adaptionsprozess die Lautsprechersignale so, daß die Lautstärke an der Mikrophonposition immer weiter abnimmt. Die theoretischen Grundlagen zur Auslöschung von Schall durch "Antischall" datieren schon aus den 30er Jahren. Aber erst durch die Entwicklung der adaptiven Prozesse in den letzten Jahren konnte dieses Verfahren auch praktisch eingesetzt werden, vor allem im Flugzeugbau und zur Lärmminderung von Maschinen. Bei diesen industriellen Anwendungen ist eine geringe Lautstärkenreduktion (Absenkung des Pegels um 10 dB; das entspricht ungefähr einer Halbierung der empfundenen Lautstärke) meist ausreichend. Im Gegensatz dazu versucht "Im Auge des Taifuns II", unter Einbeziehung der gesamten Raumakustik den Klang der Lautsprecher völlig zu unterdrücken.

Die Erzeugung von absolute Stille für einen Besucher, der im Klangobjekt steht, ist jdeoch aus zwei prinziellen Gründen nicht. Erstens kann die vollständige Auslöschung nur an einem bestimmten Punkt im Raum erfolgen, das heißt das Klangobjekt in seiner reinsten Form ist unendlich klein. Die beiden Ohren weisen jedoch einen Abstand von ca. 17 cm auf, sodaß man sich immer ein wenig neben der vollkommenen Stille befindet. Zweitens ändert jeder Besucher, der den Raum betritt, die Reflexionseigenschaften des Raumes und damit die Interferenzmuster. Die akustischen Auswirkungen dieser Änderungen sind umso größer, je näher sie am Ruhepunkt liegen. Der reale Beobachter/Hörer zerstört das Objekt also umso stärker, je genauer er es betrachten will.



© 2000, zuletzt geändert am 8. Februar 2000.

Last modified 13.03.2003