Vieldeutigkeit und Naivität
Bei den Wiener Festwochen 1991 war der Steirerin Olga Neuwirth mit ihren satirischen Kurzopern "Körperliche Veränderungen" und "Der Wald" nach Hörspieltexten von Elfriede Jelinek der erste Durchbruch gelungen. Jetzt etablierte sich die mittlerweile 31jährige Komponistin mit "Bählamms Fest", einem Auftragswerk der Wiener Festwochen, für das die Steirerin Elfriede Jelinek das Libretto erstellte, endgültig als Musikdramatikerin von Rang. In den Sofiensälen zeichnete sich die mit einhelligem Beifall bedachte Uraufführung der Koproduktion mit der Straßburger Rheinoper durch eine exemplarische musikalische Realisierung aus, mit der die Inszenierung keineswegs Schritt zu halten vermochte.
Foto: Surreales Familiendrama: Theodora (Christine Wittlesey; Mitte), Ehemann Philip (Walter Raffeiner, rechts) und Hund Henry (Graham F. Valentine) (Foto: Reuters)
Surreal. Allerdings fiel dem Briten Nicholas Broadhurst, der Christoph Marthaler als Regisseur ersetzen mußte, die wohl schwierigste Aufgabe zu. "Bählamms Fest" basiert nämlich auf dem Theaterstück "Das Fest des Lammes" der Britin Leonora Carrington, die 1940 eine sadistische Familiengeschichte in ein surreales Drama verpackt hat, dessen Protagonisten zwischen Tier- und Menschengestalt hin und her wechseln. Das stellt natürlich jede szenische Realisierung ebenso vor große Probleme wie die Auftritte des "Skeletts einer Ratte", einer "ertränkten Katze" oder eines "gekochten Goldfischs". Nicholas Broadhurst, die Brothers Quay (Bühne) und Tania Spooner (Kostüme) versuchten, ihnen im Comic-Stil beizukommen und landeten damit bei einer Naivität, die der Vieldeutigkeit des Stücks nicht gerecht wird.
Foto: Steirisches Erfolgsduo: Elfriede Jelinek und Olga Neuwirth (Foto: Vukovits)
Neben schwarzem Humor gibt es nämlich in dieser surreal verrätselten Parabel, die keine traditionelle Erzähldramaturgie kennt und Alptraum mit Wirklichkeit verschmelzen läßt, auch viele düstere, brutale und dämonische Elemente. Es geht um familiäre Hierarchie, um Unterdrückung, Entfremdung, Kälte, Flucht in die Kindheit und eine Utopie - die Hoffnung auf die Allmacht der Liebe.
Die 13 Bilder, zu denen die Librettistin Elfriede Jelinek das Stück verdichtet hat, geben der Komponistin die Möglichkeit, den ganzen Facettenreichtum ihrer Tonsprache auszubreiten. Olga Neuwirth gelingt es, jeweils eine ganz spezifische Atmosphäre zu schaffen und doch eine Einheitlichkeit zu wahren. Sie achtet stets auf Textverständlichkeit, läßt die Sänger deshalb auch immer wieder sprechen und verlagert dann ihre Kommentare in das Orchester. Sie begnügt sich aber nicht mit den Tönen, die 22 fabelhafte Musiker des Klangforums Wien unter der Leitung von Johannes Kalitzke produzieren, sondern verändert sie - zumal in den Zwischenspielen - immer wieder durch Live-Elektronik und stellt so den unterschiedlichen Ebenen des Textes eine Vielfalt musikalischer Ebenen gegenüber. Das Spiel zwischen den realen und nichtrealen Klängen sorgt nicht nur für ein sehr breites und differenziertes Farbspektrum, sondern verleiht dieser Musik auch eine Suggestivkraft, der sich der Hörer kaum entziehen kann.
Hochkarätig. Neben dem Klangforum bemühte sich ein hochkarätiges Ensemble um Neuwirths Partitur: Mit ihrer starken Bühnenpersönlichkeit erwies sich die Mezzosopranistin Ute Trekel-Burckhardt als ideale Interpretin der Familienherrscherin Mrs. Carnis. Christine Whittlesey berührte als Liebe suchende Theodora, Isolde Siebert brillierte als Elizabeth mit Hochtönen und Koloraturen. Der Tenor Walter Raffeiner und der Countertenor Andrew Watts gaben den ungleichen Brüdern Philip und Jeremy vokales Profil.
"Bählamms Fest" von Olga Neuwirth in den Sofiensälen, Wien, Marxergasse 17: 21., 23., 24. und 25. Juni, 20 bis 21.45 Uhr. Karten: Tel. (01) 589 22 22.