Seltsamer Schlachthof der Kuscheltiere
Wo Elfriede Jelinek draufsteht, mag zwar Elfriede Jelinek drinsein, allerdings nicht immer klar als Elfriede Jelinek erkennbar: "Ich habe mich vom Stück an der Hand nehmen lassen. Nicht ich habe das Libretto geschrieben. Es hat sich selber geschrieben!" - so die österreichische Autorin über ihren Text zu "Bählamms Fest", dem neuen "Musiktheater in 13 Bildern" von der jungen Grazer Komponistin Olga Neuwirth. Uraufgeführt in den Sofiensälen am Samstag bei den Wiener Festwochen.
Die Grundlage zum Stück liefert eine surreale Geschichte der britischen Malerin und Autorin Leonora Carrington. Sie verarbeitete in ihrem 1940 entstandenen Drama "Das Fest des Lammes" ihren Schock anläßlich der Verhaftung ihres Lebensgefährten Max Ernst durch die Nazis.
Wobei sich in der von Regisseur Nicholas Broadhurst auf die Bühne gebrachten Collage aus Sadismen, Abhängigkeiten, tierisch/menschlichen Grausamkeiten und Traumfragmenten nur Insider zurechtfinden. Den psychoanalytischen Subtext nur jener entdeckt, der auch weiß, daß er da sein sollte. Allen anderen bleibt Ratlosigkeit, die auch kaum zum Hinterfragen anregt.
Eine Kindermärchen-Szenerie hat Brothers Quay als Forum auf die Bühne gestellt: Waldgepinsel in Schwarz/Weiß samt Haus. Ein herausklappbares Kinderzimmer, glühlämpchenbedeckt, gefüllt mit Relikten einer ganz offensichtlich wuterfüllten Kindheit: ein blindgemachter Kanari, ein gekochter Goldfisch. Entflügelte Schmeißfliegen, ein Rattenskelett, eine ertränkte Katze. Über allem der Vollmond dick und fett, auch als Projektionsfläche für Filmsequenzen.
Hier lebt Hund Henry, mit gigantischen Hoden unterm Wedelschwanz. Mit seiner Herrin Mrs. Carnis zeugte der jenen Wolf/Menschen, der unschuldigen Lämmern die Köpfe abreißt und in den sich Theodora verliebt, Gattin von Jeremys Menschenbruder Philip. Dazwischen tanzen, feiern, rennen Lämmerherden wild durch den Pinselstrichwald (exquisite Kostümlösungen: Tania Spooner). Es blökt, es heult, es schreit in diesem Schlachthof der Kuscheltiere.
Womit wir bei den Geräuschen und somit beim Musiktheater und somit wieder bei Olga Neuwirth wären. Müßte ich diese Partitur optisch umsetzen, wäre es ein dicker Strang aus dicht nebeneinanderliegenden Linien, mit pointiert aufschnellenden Zacken sowie einer dazwischen schwingenden Sinuswelle. Der Strang: ein schwebendes Ineinander knapp versetzt gestimmter Instrumente des perfekt musizierenden Klangforums Wien. Die Zacken: Perkussives, Elektronisches. Die Sinuswelle: die Akteure, allesamt bravourös in ihrer Spiel- und Singleistung.
Herrlich fies etwa "Mrs. Carnis" Ute Trekel-Burckhardt. Ein prächtiges mutterabhängiges Weichei: "Philip" Walter Raffeiner. Ein vorzüglich akzentuierter Countertenor "Jeremy" Andrew Watts, ein flirrender Sopran "Theodora" Christine Whittlesey. "Hund Henry" Graham F. Valentine bringt über elektronisches "voice-morphing" sogar Vielfalt: Von Menschenstimme bis zu Knurren, Winseln, Heulen.
Trotzdem bleibt die Frage, was Opern die Zeit überdauern läßt: Sind es nicht doch quer durch alle Äras und Genres immer wieder erkennbare Leitmotive, die Bestand haben? Und so frage ich weiter: Warum meiden dann so viele moderne Komponisten die Melodie? Warum begnügt sich Neuwirth mit bloßer Illustration, statt selber zu erzählen? Woraus die nächste Frage resultiert: Für wen ein Komponist dann heutzutage überhaupt noch Opern schreibt? Doch nicht nur dieses Rätsel blieb nach "Bählamms Fest" ungelöst.
Termine: 21., 23., 24. und 25. Juni, jeweils 20 Uhr, Sofiensäle.
© 2000, zuletzt geändert am 8. Februar 2000.