Nicht Wolf und nicht Mensch in der Klang-Geisterbahn
"Bählamms Fest" ist das erste "große" Musiktheater der 30jährigen Komponistin Olga Neuwirth, einer der Hoffnungsträgerinnen des neuen und jungen Komponierens. Das Thema ist das Unaussprechliche, das Jenseitige, Bedrohung, Angst und Wahnsinn - die Stoffe der englischen "Gothic Novels". Hinter jeder Figur ist ein Symbol zu vermuten, hinter jeder Handlung ein Trieb, und weil nichts konkret sein muß, darf alles in den Wahnsinn hineinschlittern.
Foto: Protagonisten von "Bählamms Fest": Die alte Mrs. Carnis (Ute Trekel-Burkhardt) und ihr Sohn Philip (Walter Raffeiner); Foto: SN/Reuters
Tote fallen zur Türe herein
Ein Schäfer bringt den Rumpf eines Schafes, dessen Kopf abgebissen wurde; wie Salome dem Haupt des Jochanaan nähert sich die Heldin Theodora der grellroten Halswunde in hysterischer Verzückung; schon im nächsten Bild ist es der Schäfer, dessen Kopf fehlt. Sein Rumpf schlägt auf dem Boden der Terrasse der im Alter erbleichten Mrs. Carnis auf, in dessen Haus im Wald die schaurige Geschichte spielt. Die Damen, wie meist in englischen Schockern, sind ungerührt, nur der Diener Robert beschließt, zu kündigen. Irgendwo treibt ein Werwolf sein Unwesen, und Theodora muß natürlich ihm verfallen. Welch schrecklich schöne Gestalten hätte ein Marthaler da über die Bühne marschieren, staksen und stolpern lassen. Quasi als "Memento" war sein Parade-Lulatsch, Graham F. Valentine, als Hund Henry mit von der Partie.
Foto: Die Lämmer treten immer in der Opferrolle auf, bevor sie ihr kurzes Fest feiern. Hier reicht der Schäfter (Roman Sadnik) Theodora (Christine Whittlesey) ein totes Lamm, dem der Kopf abgebissen wurde. (SN/Reuters)
Die Geschichte stammt von der 1917 geborenen Autorin Leonora Carrington, und ihre Lebensgeschichte liest sich genauso kraus wie der Inhalt des Librettos, das Jelinek aus der Theaterfassung von Carringtons Stück "Baa-lamb's Holiday" kürzend herausdestilliert hat.
Den starken, pointierten, sich zu überspannten Dialogen zuspitzenden Text hat Olga Neuwirth weniger "vertont" als ihn vielmehr in Klänge gekleidet: die von Neuwirth mit dem "Klangforum Wien" kreierten Klänge suggerieren dem Hörer die Stimmungen, welche die Gestalten auf der Bühne gerade beeinflussen. Das akustische Geschehen ist nicht Reflex von Seelenzuständen, sondern kommt aus dem Umfeld und kündigt, wie Filmmusik, das Schicksal an. Zusammen mit der ständig beschäftigten Elektronik erzeugt das Klangforum Wien mit 19 Musikern ein ungemein sattes, alles umhüllendes, geradezu greifbares Klangerlebnis, für das sich Neuwirth in bewährter Weise auch vor trivialen Motiven wie Chanson-Anklänge, Spielzeug-Musik oder schmalzigen Gitarren-Glissandi nicht scheut und dennoch nie floskelhaft wirkt.
Aus Menschenstimmen werden Tierlaute
Die Solisten sprechen fast mehr als sie singen: das steigert den Eindruck des Zwanghaften, Überreizten. Die Stimmen der Tiergestalten werden durch sogenanntes "morphing" (so etwas wie Gestalt-Umwandlung) mit ihren "originalen" Tierstimmen vermischt und entmenschlicht: Elisabeth, die Exfrau von Theodoras Mann Philip (Isolde Siebert), feuert ihre Kommentare nur "on the top of her voice" in Koloraturen wie aus dem Maschinengewehr ab.
Diese skurrile Szene am Rande des Jenseits hat ein gutes Potential für Inszenierungen am Rande des Diesseits: entweder eine bitter-komische Zuspitzung anhand konkreter Gestalten, wie das bei Marthaler zu erwarten gewesen wäre, oder den szenischen Rückzug in eine Welt von Symbolen und abstrakten Gesten, die Ton und Text das Feld überlassen und sich mit Andeutungen begnügen. Der englische Regisseur Nick Broadhearst hat sich einen dritten Weg durch die von den Ausstattern Brothers Quay und der Kostümbildnerin Tania Spooner dargereichte Mischung aus Pappmache, Kunstschnee und Stofftieren geschlagen und ein pseudorealistisches Spiel im Rüschchen-Stil á la Arsen und Spitzenhäubchen daraus gemacht.
Gruselbilder als Verlegenheitslösung
Fahle Gesichter: grusel! Grellrotes Blutgeschmier: schauder! Schnee-Geriesel in einem Wald aus dürren Papp-Tannen: schlotter. Höchstens als Verlegenheitslösung akzeptable Bilder aus der Trickkiste für Schüleraufführungen; das wurde in der zentralen Szene, als sich Theodoras Kinderzimmer öffnet und damit der Kern ihrer Seele, beim Auftritt der kugelig bunten Tier-Geister (die von Mrs. Carnis einst zu Tode gequält wurden) noch zur großen Peinlichkeit ausgebaut, da wurde auch Verrat geübt an der Ernsthaftigkeit mit der sich Olga Neuwirth der Stimmung des Unheimlichen auf die Spur gemacht hat.
Den Löwenanteil ihrer Wirkung verdankt die Aufführung dem Klangforum Wien, seinem Dirigenten Johannes Kalitzke und der Elektronik-Crew von der Grazer Musikuniversität unter der Leitung von Robert Höldrich. Christine Whittlesey als Theodora, Andrew Watts als Jeremy und Isolde Siebert verschafften ihren Partien (verstärkt) Gehör und Aufmerksamkeit. Ute Trekel-Burkhardt (Mrs. Carnis), Walter Raffeiner (ihr Sohn Philip) sowie Roman Sadnik, Gudrun Pelker und die weiteren Mitwirkenden profilierten sich gut als Sing-Schauspieler.
Werten wir Olga Neuwirths Komposition als einen insgesamt gut gelungenen Versuch auf dem heiklen Parkett der "Oper"; nicht revolutionär, aber mit den Mitteln der Gegenwart ebenso entschlossen wie kreativ spielend. Vielleicht hat Olga Neuwirth sich noch etwas Spielraum für Verfeinerungen gelassen; auf jeden Fall aber sollte sich "Bählamms Fest" in einer inspirierten, dichteren Inszenierung wiederfinden.
© 2000, zuletzt geändert am 8. Februar 2000.