Ein Schlachtfest als Kritik an der Gesellschaft
Wien - Blökenden Schafen die Köpfe abknacken, um genüßlich im Blut ihrer zuckenden Leiber zu baden - die Bilderwelt Leonora Carringtons ist zweifellos grausam. Riesenspinnen und Rattenskelette, heulende Werwölfe und kläffend sprechende Hunde bevölkern ihr surrealistisches Baa-Lamb's Holiday, dessen dunkle Fabelwelt freilich im nicht minder brutalen Nationalsozialismus wurzelt.
1940 entstanden, als Carringtons Lebensgefährte, der Maler Max Ernst, in Südfrankreich verhaftet worden war, spiegeln sich in diesem weihnachtlichen "Fest der Lämmer" unter hysterischem Gelächter und jaulendem Wolfsgeheul die SM-Gelüste einer ego-fixierten Welt, die ihre gestaute Sinnlichkeit in ritualisierte Blutbäder kanalisiert.
Ein Schlachtfest ganz nach dem gesellschaftskritischen Geschmack Elfriede Jelineks, die Carringtons Stück auf dreizehn Bilder konzentrierte und maßvoll modernisierte, um Olga Neuwirth ein zündendes Libretto für deren im Auftrag der Wiener Festwochen entstandenes Musiktheater Bählamms Fest zu schaffen. Um die Schwierigkeiten einer szenischen Umsetzung surrealistischer Bilder zu lösen, sollte laut Partitur eine große Filmleinwand mit Videos von Michael Kreihsl gemeinsam mit elektronischen Effekten eine verfremdende Ebene eröffnen.
In der Ausstattung der britischen Brothers Quay ist dieser Screen aber auf einen elliptischen Mond geschrumpft, der in einem Wald weißer Pappbäume schwebt. Rechts türmt sich ein Spinnwebgemäuer, das eher an ein Knusperhexenhäuschen mit ausgestopftem Fuchs und Eber erinnert als an ein surrealistisch bedrohliches Bauwerk.
Dort residiert die verhärmte Mrs. Carnis (Ute Trekel-Burckhardt), deren sinnenfeindliches Regiment ihren Sohn Philip (Walter Raffeiner) in den Alkohol treibt. Dessen Frau Theodora (Christine Whittlesey) flüchtet in die Traumwelt ihrer (gleich unheilvollen) Kindheit, bis sie den Wolfsmenschen trifft, der immer wieder Lämmer reißt: Jeremy (Countertenor Andrew Watts), der vertierte Halbbruder Philips als Symbol lauernder Abgründigkeit.
Regisseur Nicholas Broadhurst versuchte zwar, der aus der britischen Punch and Judy-Tradition - einer Art brutalem Kasperltheater - hergeleiteten Bühnenästhetik der Brothers Quay entgegenzusteuern, doch die grauenerregende Doppelbödigkeit von Bählamms Fest kann auch er nur ansatzweise vermitteln. Doch setzt sich Neuwirths Musik auch gegen dieses szenische Mißverständnis durch.
Die Komponistin schafft atmosphärische Einheit durch eine eiskalte, grau getönte Grundschicht, die hinter grotesken Verzerrungen lauert, die Hollywood-Kitsch und Kinderlieder mit Barockmusik und Klangballungen `a la Var`ese in filmischen Schnitten verkettet. Um surreale Effekte zu erzielen, stützt sich die Musik auch auf die Elektronik (Robert Höldrich und Peter Böhm): Es heult und fiepst, wenn der aufgebracht hechelnde Hund Henry (Graham F. Valentine) über Microport verfremdet spricht. Jaulende Laute verbreitet auch das Theremin-Vox, ein historisches elektroakustisches Instrument, das stellenweise überstrapaziert wird.
Am stärksten wirken die vom zupackend musizierenden Klangforum Wien unter Johannes Kalitzke gläsern intonierten Tableaux zwischen den 13 turbulenten Bildern: In den irisierenden Eis-Schnee-Inseln wird deutlich, daß Bählamms Fest nicht bloß Groteske ist, sondern auch Kritik an einer Gesellschaft, der es an Wärme fehlt, an Verständnis und Toleranz.
Standard, Kultur, Montag 21. Juni 1999; Foto: © Regine Hendrich
© 2000, zuletzt geändert am 8. Februar 2000.