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DIMINUENDO - Über selbstähnliche Verkleinerungen

BEM 7 von Bernhard Lang

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Vorwort des Herausgebers
Abstract deutsch / englisch
Einleitung
1. Der Diminitionsbegriff in der Musikgeschichte
2. Der Begriff der 'Selbstähnlichen Diminutionen'
3. Die algorithmische Realisation der selbstähnlichen Diminutionen
4. Partialreihen
5. Iteration des Substitionsprozesses
6. Strukturelle Darstellung der Iterationsebenen
7. Harmonische bzw. vertikale Diminutionen
8. Kombinationen von horizontaler und vertikaler Diminution: Die 'Raumfüllende Linie'
9. Zusammenfassung und Ausblick
Literaturverzeichnis


Vorwort des Herausgebers
Der österreichische Komponist Bernhard Lang arbeitet seit vielen Jahren mit dem Institut für Elektronische Musik zusammen. Entstanden sind in dieser Zeit sowohl Tonbandkompositionen als auch Werke für Instrumente und Live-Elektronik. Neben seiner Tätigkeit als Komponist widmet sich der Autor auch der theoretischen Formulierung und programmtechnischen Umsetzung von algorithmischen Kompositionstechniken.

Der vorliegende "Beitrag zur Elekronischen Musik" entstammt zwar nicht direkt der Veranstaltungsreihe "Die Klangwelt am Rand der Datenautobahn", die im Sommersemester 1995 am IEM Graz stattgefunden hat. Dennoch wurde er in die Reihe der dieser Ringvorlesung gewidmeten Sonderbände aufgenommen, da Lang's Gedanken die Diskussionen während der Seminare immer wieder geprägt haben. Seine Gegenüberstellung von computergenerierter Struktur einerseits und Komposition von Instrumentalmusik mit traditionellen Instrumenten und Techniken andererseits erscheint mir eine interessante Ergänzung zu Karlheinz Essl's "Strukturgeneratoren" (BEM 5).

Nach Abschluß der Sonderreihe wird den gesammelten Artikeln eine CD mit Tonbeispielen beigelegt werden. Bis zu diesem Zeitpunkt finden sich die Beiträge samt MIDI- und Audiofiles unter http://www.kug.ac.at/iem/bem/bem_dt.htm

Die Herstellung dieser Publikation wurde von den Musikkuratoren des Bundesministers für Wissenschaft und Kunst unterstützt.

Robert Höldrich


Abstract
Im vorliegenden Text möchte ich einen Algorithmus vorstellen, der Teil eines größeren Programmes zur computerunterstützten Komposition ist, an dem ich seit 1988 arbeite: CADMUS, Computer Aided Design for Musical Applications.

Die Darstellung des Algorithmus soll allerdings nicht für sich stehen, sondern auch die Problematik und Methodik der Einbindung von Programmierarbeit in den Kompositionsvorgang darstellen.

Der Algorithmus betrifft eine spezielle Facette des musikalischen Raumbegriffs, nämlich die Diminution von Intervallen. Vor der Behandlung des speziellen Diminutionsbegriffs soll auf den Diminutionsbegriff im geschichtlichen Zusammenhang eingegangen werden.

Dann werden ich kurz auf außermusikalische Anregungen aus Mathematik und Physik eingehen, wobei ich hier keineswegs Anspruch auf das völlige Verständnis oder die Übernahme wissenschaftlicher Ideen erhebe, sondern diese vielmehr als freie Bezugspunkte musikalischer Phantasien verwende.

Darauf folgt die Beschreibung der selbstähnlichen Diminutionen im Detail.

Den Abschluß bildet eine kurze Zusammenfassung und der Versuch einer Wertung für den kompositorischen Bereich.


In this short text I will present an algorithm, which in itself is part of a larger program implementing various functions for Computer Aided Design for Musical Applications, shortly called CADMUS. The description of this algorithm should not stand alone. It will be presented within its context of development and its actual usage within the compositorial process.

The algorithm deals with diminuition, a term which relates to the way intervals can be processed within the musical notion of space. The term diminuition will be described both in its general historical context and in the special sense it is used by the algorithm.

This algorithmic usage of diminuition will be compared with various ideas dating from the fields of mathematics and physics. This will be done in a very free, playful way, without claiming full understanding of those very complex issues which inspired me.

The intial concept for considering diminuitions was the idea of interval substituion using the so-called partial-series.1

The resulting software functions can be iterated, therewith creating multi-layered data with growing complexity. This iteration of diminuitive functions showed very interesting results, which open a new field for experimentation and research. The functions can be applied to both horicontal-melodic and vertical-harmonic interval structures. By combining both kinds of diminuition in a matrix, musical data with similar properties in melody and harmony is created. After a detailed description of the various forms of self-similar diminuitions, a short summary will provide a preliminary valuation of the algorithm's compositorial usage.


"Puzzle: A Typogenetical Self ­Rep

Now that the rules of Typogenetics have been fully set out, you may find it interesting to experiment with the game. In particular, it would be most interesting to devise a self ­replicating strand.” 2


Einleitung

Seit ich 1993 mit der Entwicklung des Konzepts der selbstähnlichen Substitutionen begonnen habe, hat sich meine Einstellung bezüglich der Funktion und Bedeutung dieses und ähnlicher Algorithmen innerhalb des kompositorischen Prozesses wesentlich verändert. Diese Veränderung wurde allerdings sicherlich auch durch die intensive Verwendung der Algorithmen selbst bewirkt. Bevor ich auf diesen Wandel im einzelnen eingehe, zunächst Allgemeines zum vorliegenden Text.

In der derzeitigen Situation der zeitgenössischen Komposition ist wie in anderen künstlerischen Disziplinen ein verstärkter Einsatz von Computertechnologie festzustellen. Dieser reicht von der Verwendung von Notationsprogrammen, Strukturgeneratoren bis zur Klangverarbeitung und Klangerzeugung. Hier soll auf einen speziellen Fall eines Strukturgenerators eingegangen werden.

Ich meine, daß es vor allem strukturerzeugende Programme sind, deren Einsatz eine innere Veränderung des Kompositionsprozesses bewirken könnte. Weder Notationsmaschinen noch Klanggeneratoren legen die Entwicklung neuer musikalischer Systeme oder Verfahren a priori nahe. Wie ich es selbst an mir und auch bei anderen ähnlich verfahrenden Komponisten feststellen konnte, kann die Arbeit am Strukturgenerator, sei es seine Programmierung oder seine bloße Übernahme, sehr eng mit dem Kompositionsprozeß verschmelzen. Dies führt zu einer faszinierenden und nicht zuletzt daher inspirierenden Amalgamierung der Bereiche. Dabei kann kompositorisches Denken durch die Begegnung mit algorithmischen Formulierungen musikalischer Lösungen wesentlich angeregt, verändert und vielleicht erneuert werden.3

Diese Erneuerung muß nicht unbedingt in der Erfindung neuer Techniken bestehen, sie kann sich auch im ästhetischen Ansatz, im musikalischen Denken vollziehen.

Dennoch tritt der Komponist in einen Diskurs ein, sobald er die Differenz zwischen maschinenorientiertem und psychologistisch- intuitivem musikalischen Denken in etwelcher Form in seiner Arbeit realisiert. Er sieht sich mit zwei Schriften konfrontiert, deren eine ihren Ursprung und ihre Spiegelung außerhalb seiner selbst im formalisierten Objekt hat, die andere hingegen in seiner Persönlichkeit und ihrer Irregularität und Unschärfe, in ihrer Nichtfaßlichkeit und Erratik verwurzelt liegt.

Jeder, der das erste Mal die Faszination algorithmischen Denkens erlebt hat, wird sich erinnern, wie sehr diese so erzeugte Schrift Ansprüche auf Absolutheit und Trans - bzw. Überpersonalität erhebt. Sie enthebt den Komponisten nach dem Entwurf des Algorithmus vieler Entscheidungen, sie löst das Problem der Rechtfertigungen, da sie sich in ihrer Objektivität selbst rechtfertigt. Es ist eine Ingefangennahme durch ein Bild, die sowohl Wege eröffnet und erleichtert, aber auch, und das entspricht meiner persönlichen Erfahrung, Wege verbirgt und verschließt.

Daher ist es für mich von entscheidender Bedeutung geworden, die zweite Schrift wieder in die Komposition einzubringen, den Diskurs zwischen den beiden Schriften zu eröffnen, um dadurch aus der Geschlossenheit eines perfekt funktionierenden Systems zu entkommen.




9. Zusammenfassung und Ausblick

Ich habe einen Algorithmus zur Computerunterstützten Komposition vorgestellt, wie ich ihn im Laufe der Arbeit an den Stücken 'Quartett für Flöte Solo', 'Brüche', 'Küstenlinien' entwickelt habe. Kompositions ­und Programmierarbeit liefen dabei weitgehend parallel.

Der Algorithmus erhebt in der dargestellten Form keinerlei Anspruch auf ein Prinzip, dem eine andere als werkspezifische Bedeutung zukäme. Er stellt nichts anderes als eine Summe von Spielregeln dar, eine von unzähligen Möglichkeiten. Hier möchte ich ihn zur Diskussion stellen und als Ausgangsbasis für mögliche Entwicklungen und Erweiterungen einerseits, für Untersuchungen und Bewertungen andererseits präsentieren.

Der Algorithmus ist in einer Allgemeinheit formulierbar, die ihn auch für Kompositionsaufgaben im Bereich der Elektronischen Musik anwendbar macht. Vor allem das Ausarbeiten der Ähnlichkeitsrelationen sowie die Einbindung des Algorithmus in eine Echtzeit-Verarbeitung wären reizvolle Aufgaben.

Da die Anregungen für dieses Verfahren auch aus dem Gebiet der Mathematik stammen, ich aber nur über mathematisches Allgemeinwissen verfüge, würde es mich etwa interessieren, wie eine Untersuchung des Wachtumsprozesses in einer für allgemeine Reihen und Substitutionen formulierten Form verlaufen würde.

Ich konnte im Experiment feststellen, daß iterierte Diminutionen der beschriebenen Art im Falle der zitierten Reihe und unter Annahme obenstehender Substitutionen den Klangraum etwa normalverteilt auszufüllen. Ob dies in irgend einer Form verallgemeinert werden kann oder nicht, konnte ich bislang nicht beantworten. Die Erforschung dieser Wachstumsverhalten könnte Gegenstand einer folgenden Untersuchung werden.

Andererseits interessieren mich auch Rückmeldungen von Komponisten, die ähnliche Verfahren verwenden wollen oder bereits verwendet haben.

Innerhalb meiner Arbeiten, und das möchte ich besonders betonen, stellen Algorithmen dieser Art stets nur eine bestimmte Werkschicht dar, werden also durch andere Verfahren kontrapunktiert. Anderenfalls bestünde für mich die Gefahr einer totalitären Struktur innerhalb eines Stückes mit all den daraus folgenden Konsequenzen.

Man weiß zudem selbst um die ungeheure Feinheit und Kompliziertheit der Gedankengänge während des Komponierens, und es wäre recht naiv meinen zu wollen, diese ließen sich auch nur zum Teil durch Prozesse der beschriebenen Art ersetzen oder simulieren. Dennoch hat das Spiel, solang es als solches aufgefaßt wird, eine, wie ich meine, volle Berechtigung als Inspirationsquelle und Experimentierplattform einerseits, aber auch als Repräsentant einer Schicht des multiplen Ichs, die durchaus als kompositorische Schicht Verwendung finden kann.


Literaturverzeichnis

Bassano, Giovanni: Ricercate/Passaggi et Cadentie 1585, Hrsg. v. Richard Erig. In: Italienische Diminutionslehren Bd.1, Pelikan,Zürich 1976.

Brunelli, Antonio: Varii Esercitii 1614. Hrsg. v. Richard Erig. In: Italienische Diminuitionslehren Bd.2, Pelikan,Zürich 1976.

Engel, Hans: Diminuition. In: Musik in Geschichte und Gegenwart,Bd.3, ­. Dtv/Bärenreiter, Kassel/Basel 1989. (Zitiert als MGG)

Forte, Allen u. Gilbert, Steven E.: Introduction to Schenkerian Analysis, Norton, New York 1982. (Zitiert als ISA)

Ganassi, Silvestro: Schule des kunstvollen Flötenspiels und Lehrbuch des Diminuierens. Venedig 1553.Hrsg. v. Hildemarie Peter. Lienau, Berlin 1956.

Hahn, Hans: Die Krise der Anschauung. In:Hans Hahn:Empirismus Logik Mathematik. Suhrkamp, Frankfurt a.M.,1988.

Hofstadter, Douglas R.: Gödel, Escher, Bach: An Eternal Golden Braid. A Metaphorical Fugue on Minds and Machines in the Spirit of Lewis Carroll, Penguin,Harmondsworth 1984. (Zitiert als GEB)

Hofstadter, Douglas R.: Metamagical Themas: Questing for the Essence of Mind and Pattern, Penguin, Harmondsworth 1984.

Lang, Bernhard, Quartett für Flöte Solo, 1991.

Lang, Bernhard: 'Brüche' für Klarinette, Streichquartett und präpariertes Klavier, 1992.

Lang, Bernhard: 'Küstenlinien' für zwei Klaviere und doppeltes Schlagwerk, 1992.

Lang, Bernhard: 'Felder' für Streichorchester :2. Feld - Studie, 1994.

Mandelbrot, Benoit B.: Die Fraktale Geometrie der Natur. Birkhäuser, Basel/Boston/Berlin 1991. (Zitiert als FGN)

Peitgen, H.­O., Jürgens,H., Saupe D. u.a.: Fraktale, Selbstähnlichkeit, Chaosspiel, Dimension. Ein Arbeitsbuch. Springer/KlettCotta,Heidelberg/Stuttgart 1992.

Peitgen, H.­O., Jürgens,H., Saupe D.: Bausteine des Chaos ­Fraktale. Springer/KlettCotta, Heidelberg/Stuttgart 1992.


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Dank möchte ich an dieser Stelle folgenden Freunden sagen:

Robert Höldrich, der dieVeröffentlichung dieser Arbeit angeregt hat,
Winfried Ritsch, der mich zur C++ ­Programmierung angeleitet hat,
Georg Friedrich Haas, der mich zur Beschäftigung mit Mikrointervallen angeregt hat
und Hermann Markus Pressl, mit dem ich über diese Arbeit noch sprechen konnte und dessen Andenken sie auch gewidmet sein mag.

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1 not to be confused with harmonic series!
2 Hofstadter GEB, S. 512
3 Vor allem durch die individuelle Verfügbarkeit von Computern wird diese Begegnung gefördert und erleichtert. Die alte Trennung zwischen Ingenieuren bzw. Programmierer und Musiker kann somit leichter fallen, zumal es letzterem jetzt möglich geworden ist, selbst Programmier- und Installationsarbeiten in kleinem, aber effizienten Rahmen abzuwickeln. Dadurch vereinfacht sich auch die weiterführende Kommunikation mit Ingenieuren im Fall einer fortgeschrittenen Anwendung.

© 2000, zuletzt geändert am 11.2.2005.


Last modified 22.02.2005