Der Toningenieur - Eine Grazer Besonderheit
Ist er wirklich eine Besonderheit - der Grazer Toningenieur, wie er umgangssprachlich genannt wird, bzw. mit seinem vollen Namen der Studiengang "Elektrotechnik-Toningenieur" in Graz? Will man einer Besonderheit auf den Grund gehen, wird man sich zunächst einmal mit den geschichtlichen Fakten befassen, über die der 1. Abschnitt dieses Beitrages berichtet. (Autor: Gerhard Graber). Nun ist das Toningenieurstudium das "Kind" einer Partnerschaft, es hat sozusagen als Mutter "die Musik" (Universität für Musik und darstellende Kunst Graz, KUG) und findet seinen Vater in "der Technik" (Technische Universität Graz, TUG). Daher wird im 2. Abschnitt die Partnerin, die Universität für Musik und darstellende Kunst kundtun, wie sich aus ihrer Sicht das Toningenieurstudium darstellt und was es für sie bedeutet (Autor: Robert Höldrich). Es ist allgemein bekannt, daß in einem Entwicklungsprozeß nicht nur das "Erbmaterial der Eltern" eine Rolle spielt, sondern auch das Milieu einen wesentlichen Einfluß ausübt. Deshalb wird im abschließenden 3. Abschnitt die "individuelle Entwicklung" des Toningenieurstudiums vor dem größeren Hintergrund des "Milieus" in Form des Zeitgeistes beleuchtet (Autor: Gerhard Graber). Danach mag sich die Frage von selbst beantworten, in wieweit der Toningenieur eine Grazer Besonderheit ist.
1. Die Geschichte des Toningenieurstudiums
Alles beginnt mit einer Idee und Ideen haben eine eigene "Logik"
in sich, die anders "funktioniert" als die Logik der Mathematik und die sehr
eng mit dem Gefüge der handelnden Personen sowie deren ureigenster innerer
Überzeugung verknüpft ist. So war es auch bei der Idee für
das Toningenieurstudium, die sich etwa so rekonstruieren läßt:
Der Leiter der Abteilung für Komposition, Musiktheorie und Dirigentenausbildung
an der damaligen Musikhochschule Graz Prof. Max Heider engagiert sich als
Dirigent vor allem für zeitgenössische moderne Musik und arbeitet
dabei sehr rege mit dem ORF Landesstudio Steiermark zusammen. Vor diesem
Hintergrund strebt Prof. Heider einen zweijährigen Lehrgang für
"Aufnahmeleiter und Toningenieure" an, der 1970/71 tatsächlich im Studienführer
der Musikhochschule zu finden ist. Wie aus dem Archiv der Musikhochschule
zu erfahren war, beantragte Prof. Heider für diesen Lehrgang einen recht
großzügigen Raumbedarf von ca. 1000m² zur Einrichtung von
mehreren Studios, Cutterräumen, Werkstätten und Büros. Dies
ist möglicherweise im Zusammenhang mit der 1970/71 stattfindenden Umwandlung
der vormaligen Musikakademie in die Hochschule für Musik und darstellende
Kunst zu sehen. Es zeigt sich jedoch sehr bald, daß die zahlreichen
technischen Fächer, die für den Lehrgang notwendig sind, nicht
von der Musikhochschule betreut werden können.
So wendet sich Prof. Heider an den damaligen Rektor der Musikhochschule
Prof. Friedrich Karcak, mit dem ihn ein sehr gutes Einvernehmen verbindet.
Dieser wiederum führt im Herbst 1971 mit Rektor Karl Rinner von der
damaligen Technischen Hochschule Graz die ersten diesbezüglichen Gespräche.
Es entwickelt sich die Idee, ein gemeinsames Studium an den beiden Hochschulen
einzurichten. Wie es nun der Zufall will, ist Rektor Rinner mit Prof. Willibald
Riedler aufgrund gemeinsamer Forschungsaktivitäten im erdnahen Weltraum
seit 1969 sehr gut bekannt und weiß auch über dessen Liebe und
Nähe zur Musik Bescheid. So etwa ist der berühmte Geiger und Dirigent
Willi Boskovsky Riedlers Onkel.
Prof. Riedler greift die Idee eines gemeinsamen Studiums begeistert auf
und ist im weiteren Verlauf die entscheidende und treibende Kraft, die die
Idee des 1975 verstorbenen Prof. Max Heider zu einem realisierbaren Studiengang
weiterentwickelt und umsetzt. Anfang 1972 wurden an beiden Hochschulen eigene
Kommissionen eingesetzt, die ein Konzept für den Studiengang ausarbeiteten.
Sehr rasch wurde klar, daß das geplante gemeinsame Studium zu ca. 1/4
an der Musikhochschule und ca. 3/4 an der Technischen Hochschule stattfinden
soll und mit dem akademischen Grad eines Dipl.-Ing. an der Technischen Hochschule
abgeschlossen werden soll. Im Unterschied zu im Ausland bestehenden Lehrgängen
für Rundfunktechniker wurde hier europaweit erstmalig eine vollwertige
Akademikerausbildung auf dem Gebiet des Toningenieurwesens geschaffen. Die
Vertreter der beiden Hochschulen konnten sich relativ rasch auf die notwendigen
Lehrveranstaltungen einigen, jedoch bedurfte es insbesondere an der Fakultät
für Elektrotechnik noch eines zähen Ringens, um die vorhandenen
Widerstände und Vorbehalte gegen den neuen Studiengang zu überwinden.
Im Herbst 1973 - Prof. Riedler war damals bereits Dekan - wurde von den
Gesamtkollegien der beiden Hochschulen die Einrichtung des gemeinsamen Studiengangs
"Toningenieur" beschlossen. Für die Belange dieses Studiengangs wurde
die Kommission "Toningenieurstudium" mit Vertretern von beiden Hochschulen
eingesetzt, der die Rektoren Musyl und Korcak, die Professoren Heider, Hönig,
Riedler, Fritsche, Aichholzer, Krautz, Reischl, die Assistenten Köfler
und Kirchner und als Berater Dr. Logar vom ORF Steiermark angehörten.
Zum Vorsitzenden wurde Prof. Riedler gewählt. Der Grundstein war also
gelegt und sofort belegten neun Studenten an der Musikhochschule die vorgesehenen
Fächer. Bei der rechtlichen Verankerung des Studiengangs dachte man
zunächst an ein "studium irregulare", doch entschied das Bundesministerium
für Wissenschaft und Forschung für den bürokratisch einfacheren
Weg des Fächertausches. 1974 war damit das Toningenieurstudium als Fächertauschmodell
geboren, bei dem vom Studienzweig Elektronik und Nachrichtentechnik der Ausbildungsblock
in Starkstromtechnik durch die Fächer an der Musikhochschule ersetzt
wurde.
In den folgenden zweieinhalb Jahrzehnten war der Entwicklungsprozeß
des Toningenieurs zumeist von mehr oder weniger widrigen Umständen vor
allem formalrechtlicher Natur begleitet, die aber doch immer wieder ihr Happy
End fanden. Die dafür notwendige Kraft scheinen die verschiedenen Akteure
wohl zu einem guten Teil aus dem für den Toningenieur typischen Spannungsfeld
zwischen den technisch-naturwissenschaftlichen und musikalisch-künstlerischen
Bereichen bezogen zu haben, das diesen Studiengang entscheidend prägt
und den Menschen in einer besonderen Weise anzusprechen vermag.
Das Jahr 1975 brachte mit dem UOG 75 die Umwandlung der Technischen Hochschule
zur Technischen Universität. Durch eine "Panne" im Gesetz war das Fächertauschmodell
Toningenieur nicht mehr möglich. Es war ein glücklicher Zufall,
daß die damalige Wissenschaftsministerin Dr. Herta Firnberg Prof. Riedler
- zu dieser Zeit Rektor der Technischen Universität - bereits von seinen
Weltraumaktivitäten kennen und schätzen gelernt hat. Ebenso wie
sie der Weltraumforschung sehr aufgeschlossen gegenüberstand, brachte
sie auch dem Toningenieur ihre Begeisterung entgegen und "reparierte" den
Gesetzesfehler mit einem ministeriellen Erlaß. Danach war das Toningenieurstudium
weiterhin als Fächertausch "contra legem" durchzuführen (1978).
Noch im gleichen Jahr beendete der 1. Absolvent den interuniversitären
Studiengang.
Der nächste Meilenstein war die Einrichtung eines Lehrstudios für
die praktische Ausbildung, das aufgrund der fachlichen Nähe dem Institut
für Nachrichtentechnik und Wellenausbreitung angeschlossen wurde. Die
drängende Ungeduld der Studenten, das Lehrstudio so schnell wie möglich
zu eröffnen - ein paar Eierkartons und Decken an den Wänden sollten
für die akustische Adaptierung ausreichen - stand hier im krassen Gegensatz
zu den professionellen Vorstellungen, die insbesondere Dr. Kirchner (Assistent
am Institut für Nachrichtentechnik und Wellenausbreitung) mitentwickelte
und in zäher Arbeit realisierte. So konnte am 30. Oktober 1980 durch
Frau Bundesminister Dr. Herta Firnberg das neue Lehrstudio eröffnet
werden. Es mag wiederum ihrer Faszination an diesem innovativen Brückenschlag
zwischen Technik und Musik zuzuschreiben sein, die sie veranlaßte,
eine Assistentenstelle zu bewilligen, die wesentlich dem Toningenieurstudium
gewidmet ist (1981). Die Eröffnung des Lehrstudios steigerte ganz erheblich
die Attraktivität des Studiengangs, was sich in der Entwicklung der
Hörerzahlen widerspiegelt (Abb.1).
Gleichzeitig wurde 1981 die für den Studiengang eingerichtete interuniversitäre
Kommission neu zusammengesetzt und umbenannt in "Kommission Toningenieurstudium/Tonstudio",
zu deren Vorsitzender wiederum Prof. Riedler gewählt wurde. Kaum war
die neue Kommission zusammengetreten, gab es die nächsten drohenden
Widrigkeiten vom Toningenieur abzuwenden. Gemäß dem 1981 vorliegenden
Entwurf für das neue Kunsthochschulstudiengesetz (KHStG) hätte
der Toningenieur an der Musikhochschule nur als außerordentlicher Hörer
geführt werden können, womit die Weiterführung des Studienganges
gefährdet gewesen wäre. Die Bemühungen der Kommission konnten
diesen Mißstand abwenden und für das 1983 beschlossene KHStG erreichen,
daß der Toningenieur an der Musikhochschule weiterhin als ordentlicher
Hörer geführt werden konnte.
Eine vordringliche Aufgabe der Kommission war die Sicherstellung der finanziellen
Mittel für den laufenden Studiobetrieb, die erst 1985 einer endgültigen
Regelung zugeführt werden konnte, als der damalige Rektor Domiaty diese
Frage zu seiner "persönlichen Angelegenheit" machte. Ebenso 1985 interessierten
sich einige Studierende des jungen Studienversuchs Telematik für eine
Kombination Telematik-Toningenieur, was durch die rasche Entwicklung der
digitalen Audiotechnik mehr als begründet war (1983 Einführung
der digitalen Compact Disc (CD) wenig später Einführung der DAT-Kassette).
Diese Kombination war jedoch nur als "studium irregulare" möglich, welches
von einigen überzeugten Interessenten gewählt wurde.
Ab 1986 stand die Kommission "Toningenieurstudium/Tonstudio" vor einer Bewährungsprobe
ganz anderer Art. Im Zusammenhang mit der Bewilligung einer Geschäftsordnung
und mit Anträgen um den weiteren Ausbau und die Modernisierung des Tonstudios
stellte sich heraus, daß eine Kommission zwischen einer Hochschule
und einer Universität rechtlich nicht vorgesehen sei. Bei einer solchen
Kommission könne es sich daher lediglich um ein sogenanntes "Gesprächsforum"
ohne gesetzliche Grundlage handeln, und daher sei "auf Anträge einer
solchen Kommission nicht einzugehen." Damit verdichtete sich die Notwendigkeit
nach einer soliden rechtlichen Verankerung des Toningenieurstudiums, das
nach wie vor auf den recht wackeligen Beinen eines "Contra-legem-Erlasses"
basierte, und die Notwendigkeit nach einer eigenen Studienkommission. Unbeschadet
dessen, daß es für die Toningenieurkommission keine rechtliche
Grundlage gab, arbeitete sie weiter und konnte in der Entstehung des TechStG
1990, das eine Neuordnung der Technischen Studienrichtungen vorsah, schlußendlich
die für beide Ziele notwendigen Rahmenbedingungen erreichen. So wurde
am 1. Oktober 1992 durch das Inkrafttreten des TechStG 1990 das Fächertauschmodell
Toningenieur durch den interuniversitären Studienzweig "Elektrotechnik-Toningenieur"
abgelöst. Bereits im Vorfeld wurde am 18. November 1991 die interuniversitäre
Studienkommission "Elektrotechnik-Toningenieur" eingerichtet, zu deren Vorsitzender
wiederum Prof. Riedler gewählt wurde. Es ist wohl ein weiteres für
die Geschichte des Toningenieurs nur allzu typisches Kuriosum, daß
die Einrichtung einer Studienkommission für einen Studienzweig vom Gesetz
her zwar nicht vorgesehen war, daß jedoch vom Bundesministerium empfohlen
wurde, eine solche Kommission trotzdem einzurichten mit dem Hinweis, daß
die notwendigen gesetzlichen Änderungen ehest möglich geschaffen
würden. Etwas mehr als ein Jahr später war es soweit (13. Februar
1993), daß mit einer Novelle des UOG 75 der Toningenieur zu einem "voll
legitimierten Kind" in der österreichischen Hochschullandschaft wurde.
Der ab dem 1. Oktober 1992 gültige Studienplan gemäß TechStG
1990 brachte sowohl die dringend notwendige - und im vormaligen Fächertauschmodell
nicht mögliche - Modernisierung des gesamten Studiengangs als auch eine
wesentlich größere Wahlfreiheit für die Studierenden mit
der Möglichkeit unterschiedlicher Schwerpunktbildungen. Diese Attraktivitätssteigerung
führte zu einem weiten Anwachsen der Hörerzahlen bis an die räumlichen
und personellen Kapazitätsgrenzen (Abb.2). Nachdem der Toningenieur
gesetzlich einwandfrei verankert und mit einem zeitgemäßen Stundenplan
versehen war, konnte die Aufmerksamkeit verstärkt auf die Modernisierung
und den Ausbau des Lehrstudios gerichtet werden. Aktivitäten in diese
Richtung gab es kontinuierlich seit 1985. So konnte 1992/93 die räumliche
Adaptierung für einen neuen Regieplatz beim bestehenden Lehrstudio am
Institut für Nachrichtentechnik und Wellenausbreitung durchgeführt
werden. Die raumakustische Innenausstattung erfolgte aus finanztechnischen
Gründen in mehreren Etappen zwischen 1994 und Jänner 1999. Parallel
dazu erfolgte die gerätetechnische Einrichtung, die wie das gesamte
Toningenieurstudium etwa je zur Hälfte von der Musikhochschule bzw.
der Technischen Universität bestritten wurde. So konnte 1994 ein DAT-Schnittplatz
und 1995 ein Hard-Disc-Recording-System installiert werden (Abb. 3). Damit
war es möglich die üblicherweise auf DAT-Kassette gemachten Aufnahmen
auch im weitverbreiteten CD-Format herzustellen. 1997 konnte der lange erwartete
Mehrkanalregieplatz mit digitaler 24-Spur-Aufzeichnungseinheit eröffnet
werden (Abb. 4). Damit war der Grundstock für eine zeitgemäße
moderne praktische Ausbildung geschaffen, der im Hinblick auf die rasche
Entwicklung besonders im Bereich der digitalen Audiotechnik jedoch einer
laufenden Aktualisierung und Ergänzung bedarf.
So groß die Freude über die 1993 erreichte einwandfreie gesetzliche
Basis war, war sie jedoch von kurzer Dauer, denn die großen Reformen
des UOG 93 und des Universitätsstudiengesetzes (UniStG) ließen
zunächst den Toningenieur wieder in der Luft hängen. Das UOG 93,
das für die TU Graz ab 26. Oktober 1996 galt, sah keine Studienkommission
für interuniversitäre Studienzweige vor, ebenso wie das ab 1. August
1997 für die TU Graz gültige UniStG nur interuniversitäre
Studienrichtungen nicht jedoch interuniversitäre Studienzweige möglich
machte. Glücklicherweise konnte die bestehende Studienkommission aufgrund
von Übergangsfristen legal weiterarbeiten. Das Ende dieser formalrechtlichen
Odysse des Toningenieurstudiengangs auf der Suche nach einwandfreien gesetzlichen
Grundlagen stellt die Umwandlung der Kunsthochschulen in Kunstuniversitäten
durch das KUOG dar, das am 1. Oktober 1998 wirksam wurde. Parallel dazu war
eine Novellierung des UniStG notwendig, mit der der Toningenieur ab dem 1.
August 1998 als eine eigene interuniversitäre Studienrichtung eingerichtet
wurde. Es kann wohl als sehr passender Zufall bezeichnet werden, daß
dieses Ereignis mit einem sehr erfreulichen Jubiläum für den Studiengang
zusammenfiel, nämlich mit dem erfolgreichen Studienabschluß des
100. Absolventen (Abb 5).
So wie es zu Beginn des Toningenieurstudiums gerade zwei Jahre waren (1973-1975),
in denen die beiden durchführenden damaligen Hochschulen quasi rechtlich
gleichberechtigt agieren konnten, sind es heute ebenfalls gerade zwei Jahre
(1998-2000), in denen sich die beiden nunmehrigen Universitäten ähnlich
gleichberechtigt wiederfinden. Dazwischen lag ein knappes Vierteljahrhundert
einer bewegten Entwicklung, die ganz wesentlich und richtungsweisend von
Prof. Willibald Riedler mit Weitsicht gestaltet wurde und die schlußendlich
doch als Erfolgsstory zu bezeichnen ist. Ein vorläufiger letzter Meilenstein
auf diesem Weg wird die unmittelbar bevorstehende Einsetzung der neuen Studienkommission
gemäß UOG 93 sein, die sich für ihre "Geburt" einen Zeitraum
von knapp zwei Jahren erlaubte, in dem sie gut reifen konnte.
2. Das Toningenieurstudium an der Kunstuniversität Graz
Das Toningenieurstudium ist der einzige naturwissenschaftliche
Ausbildungsgang an der Grazer Universität für Musik und darstellende
Kunst (KUG). Als solcher ist er nicht nur profilbildend in der Außenwirkung,
sondern auch befruchtende Reibungsfläche innerhalb dieser Kunstuniversität.
Die Toningenieure werden in enger Zusammenarbeit mit Komponisten und Dirigenten
ausgebildet, wodurch der Kontakt mit jungen Künstlern schon in einer
frühen Phase des Studiums beginnt. Dieses gemeinsame Lernen führt
sowohl bei den "Technikern" als auch bei den "Musikern" zur Entwicklung einer
besseren Kommunikationsfähigkeit auch über die eigenen Fachgrenzen
hinaus, eine Fähigkeit, die heute wohl in allen Berufsfeldern gefordert
wird.
Der starke Einfluß der Toningenieure an der KUG zeigt sich in den
letzten zehn Jahren vor allem im frühzeitigen Einsatz von Hochtechnologie
in der Kunstproduktion. So war die Grazer Kunstuniversität 1994 die
erste europäische Musikhochschule, die mit der Produktion einer eigenen
CD-Reihe begonnen hat. Der damalige Rektor Otto Kolleritsch schrieb als Vorwort
zum ersten "Klangdebüt", einem Querschnitt von Weber´s Freischütz:
"Der technische Vorgang der Aufnahme ist ... als wichtiger Bestandteil einer
zeitgemäßen Ausbildung zu sehen. Da an der (damals noch) Hochschule
für Musik und darstellende Kunst in Graz auch Toningenieure ausgebildet
werden, liegt hier zugleich das Ergebnis eines Teamworks zwischen den im
künstlerischen und aufnahmetechnischen Bereich Studierenden vor." Ein
weiterer Beleg für die befruchtende Wirkung der Toningenieurausbildung
auf die Aktivitäten der Grazer Kunstuniversität ist das Gastkünstlerprogramm
des Instituts für Elektronische Musik und Akustik (IEM). Im Rahmen dieses
Programms lädt das IEM seit 1993 Komponisten nach Graz zur Realisierung
neuer Werke. Diese Art der Kunstförderung ist im Bereich der Computerkunst
international durchaus üblich. Um mit vergleichbaren Institutionen wie
dem Zentrum für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe oder dem Freiburger
Experimentalstudio mithalten zu können, mußte das IEM die Durchführung
von Projekten ermöglichen, die mit marktgängigen Werkzeugen nicht
zu realisieren waren, sondern die Entwicklung spezieller Softwarekomponenten
erforderten. Die von den Gastkünstlern gestellten Aufgaben wurden und
werden hauptsächlich von Toningenieurstudenten im Rahmen von Projekt-
und Diplomarbeiten gelöst.
Die beiden Beispiele sollen zeigen, daß mit dem Grazer Toningenieur
schon seit vielen Jahren eine Ausbildung existiert, die die strengen Grenzen
zwischen Technik und Kunst auf kreative und effektvolle Weise auflöst
und damit vor allem die von der Multimediaindustrie geforderte Verflechtung
von service provider und content provider vorwegnimmt.
3. Die Entwicklung des Toningenieurstudiums und der Zeitgeist
In Abschnitt 1 wurde im Detail die geschichtliche Entwicklung des
Toningenieurstudiums skizziert. Es sei nun erlaubt, in diesem Abschnitt einen
Schritt zurückzutreten und sich umzusehen, in welchem "Milieu" bzw.
unter welchem "Zeitgeist" diese Entwicklung stattgefunden hat. Welche Prädikate
kann man dem sogenannten Zeitgeist während dieses Entwicklungsprozesses
zuschreiben und wie paßt das zur jeweiligen Situation des Toningenieurs.
Es ist interessant, daß dieser Brückenschlag zwischen einem technischen
und einem künstlerischen Studium zeitlich gesehen in einer Umbruchphase
erfolgt: der Periode 1968-1974. Die 68er Jahre mit den Studentenunruhen und
dem Prager Frühling können als Manifestation der Auseinandersetzung
von den beharrend etablierten Kräften mit den aus dem Inneren hervordrängenden
und nach Veränderung verlangenden Impulsen zur Fortentwicklung und Erneuerung
betrachtet werden. Diese Auseinandersetzung spannt sich auf zwischen der
bewahrenden, pragmatisch, rational orientierten Kraft des Establishments
und dem unbändigen, von innen heraus drängenden Wunsch nach Befreiung
von allzu eng empfundenen Korsetts. Ein gutes Beispiel für die immense
Kraft, die hinter diesem Drängen steht, ist etwa der stürmische
Erfolg der Beatles in den 60er Jahren. Die enorme Distanz der Standpunkte
der Streitparteien machte 1968 einen konstruktiven Dialog weitgehend unmöglich,
wie das traurige Beispiel vom Ende des Prager Frühlings zeigt. Die analoge
Auseinandersetzung auf der wirtschaftlichen Ebene ist in der Ölkrise
der Jahre 1972 - 1974 und dem Bericht des Club of Rome zu sehen. Vor diesem
zeitlichen Hintergrund erfolgte in Graz die Grundsteinlegung für das
Toningenieurstudium als konstruktiver Brückenschlag zwischen einer objektiv
rational geprägten technisch-naturwissenschaftlichen Hochschule einerseits
und einer auf das subjektive Musikerleben abzielenden musikalisch-künstlerischen
Hochschule andererseits, der in dieser Form europaweit einmalig war.
Die formalrechtliche Entwicklung des Toningenieurstudiums verläuft
in einem interessanten Gleichklang mit zeitgeschichtlichen Ereignissen. Von
Anbeginn an war das Toningenieurstudium von formalrechtlichen Unsicherheiten
und kuriosen gesetzlichen Rahmenbestimmungen begleitet, deren Ursprung in
den unterschiedlichen Gesetzen zu finden ist, die für Universitäten
(TU Graz) bzw. Hochschulen (Musikhochschule Graz) gegolten haben. Da der
Studiengang gemäß UOG-75 formalrechtlich streng genommen nicht
möglich war, wurde er auf ministeriellen Erlaß hin als Fächertauschmodell
"contra legem" durchgeführt: Es ist bemerkenswert, daß in den
70er Jahren für die Einführung dieses innovativen Studiengangs
ein "Contra legem", ein "Gegen-die-allgemeinen-Spielregeln" notwendig war.
Auf der gesellschaftlichen Ebene entstanden in den ausgehenden 70er Jahren
zahlreiche Bürgerinitiativen, die als Grün-Bewegung zusammengefaßt
werden können, und durch eine gewisse Scheu vor Strukturen und Regeln
gekennzeichnet waren. Im gleichen Maße wie während der 80er Jahre
von der alternativen Bewegung mehr und mehr die Notwendigkeit von Strukturen
akzeptiert wurde, war eine Öffnung der etablierten, gut strukturierten
und ehemals enorm pragmatisch orientierten Strukturen für "bunte Vögel"
zu beobachten. Diese gegenseitige Annäherung und das wachsende Verständnis,
das wohl auch am Ende der 80er Jahre zum Fall der Berliner Mauer führte,
spiegelte sich für das Toningenieurstudium bei der Studienreform des
TechStG in einem "präter legem". Um den Besonderheiten dieses Studiums
gerecht zu werden, war es also Anfang der 90er Jahre nicht mehr notwendig,
es "gegen" die allgemeinen Spielregeln durchzuführen, sondern es konnte
"neben" ihnen bestehen. Der weitere Weg zu einem "erwachsenen Mitglied im
Reigen der Studienrichtungen" an den österreichischen Universitäten
erfolgte relativ rasch. 1993 wurden durch eine Novelle des UOG 75 die letzten
formalrechtlichen Hindernisse zwischen UOG und KHOG beseitigt und das Toningenieurstudium
konnte sich erstmals als "voll legalisiertes Kind" der beiden Hochschulen
freuen.
Mit dem Inkrafttreten des UniStG am 1. August 1997 (gültig für
die TU-Graz) begann nochmals ein kurzes "illegales Intermezzo" für das
Toningenieurstudium, das mit der Umwandlung der Kunsthochschulen in Kunstuniversitäten
im Herbst 1998 endete. Seither wird das Toningenieurstudium als eigene interuniversitäre
Studienrichtung "Elektrotechnik-Toningenieur" an der Technischen Universität
Graz und der Universität für Musik und darstellende Kunst Graz
geführt und freut sich über diese kurz vor der Jahrtausendwende
erreichte Selbständigkeit, diesen Status eines "ad legem", wie man ihn
bezeichnen könnte.
Kehren wir zurück zur eingangs gestellten Frage: Ist der Toningenieur
eine Besonderheit? Oder anders gefragt: Was ist das Besondere an diesem Studiengang,
der die damit Befaßten - angefangen von den Studierenden bis hinauf
zu den zuständigen Ministern - immer wieder in einer besonderen Weise
zu begeistern vermag?
Als Antwort mag zunächst die schon mehrfach gemachte Feststellung dienen,
daß es sich dabei um die Synthese einer technisch-naturwissenschaftlichen
mit einer musikalisch-künstlerischen Ausbildung handelt. Interuniversitär
und interdisziplinär sind Prädikate hiefür, die heute vermehrt
hoch im Kurs stehen, die aber beileibe nicht nur auf den Toningenieur zutreffen.
Sucht man das Besondere an der Interdisziplinarität des Toningenieurs,
so mag ein wesentlicher Aspekt wohl der sein, daß hier eine Erweiterung
auf eine ganzheitliche Interdisziplinarität gegeben ist. Ganzheitlich
in dem Sinne, daß eben die Synthese von Technik und Musik, von Wissenschaft
und Kunst, oder bezogen auf den betroffenen Menschen von Ratio und Intuition
letztendlich die ganze Person in allen Fasern ihres Denkens und Empfindens
fordert und anspricht. In gewisser Weise wird dadurch die in der Aufklärung
begonnene Trennung von wissenschaftlicher und künstlerischer Ausbildung
weitergeführt in eine Synthese von wissenschaftlichem Erkennen und künstlerischem
Erleben, von Denken und Empfinden. Wie diese hochinterdisziplinäre Brücke
im Einklang mit dem Zeitgeist weiterwachsen wird, was sich daraus entwickeln
wird und wie die Rückwirkung auf die "Eltern", die Technische Universität
Graz und die Universität für Musik und darstellende Kunst Graz
aussehen wird, das mag die Zukunft zeigen. Eines ist jedoch gewiß:
Die dem Toningenieur zugrundeliegende Synthese von Ratio und Intuition, von
Denken und Empfinden bleibt eine zeitlos aktuelle Herausforderung für
alle, die sich darauf einlassen.
Gerhard Graber DI Dr., Ao. Univ.-Prof. Institut für Breitbandtechnik |
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© 2000, zuletzt geändert am 27.04.2004.